Isabelle Ryf
/EN
The objects and drawings by Oliver Schuß invite the viewer to experience spatiality.
At first, clear lines draw the eye and perhaps challenge it to balance.
But when the gaze breaks away, it does not fall into a void, but into another space created by contrasts.
Tracing the inside and the outside, the viewer is seized by a quiet tension and realises: what protrudes into space is an object, but also a drawing.
This drawing in space, like the drawing on paper, creates transitions into ever different spaces and thus permeability, but never disconnection.
Oliver Schuß intervenes gently but effectively in the viewer's understanding of space.
/DE
Die Objekte und Zeichnungen von Oliver Schuß laden
den Betrachter ein, Räumlickeit zu erfahren.
Zunächst ziehen klare Linien den Blick auf sich und
fordern ihn vielleicht zum Balancieren auf. Doch wenn
der Blick sich löst, fällt er nicht in eine Leere, sondern
in einen andere Raum, der durch Kontraste geschaffen
wird.
Dem Innen und Aussen auf der Spur, wird der Betrachter
von einer stillen Spannung erfasst und erkennt: Was in
den Raum hineinragt, ist Objekt, aber auch Zeichnung.
Diese Zeichnung im Raum schafft wie die Zeichnung auf
Papier Übergänge in immer andere Räume und somit
Durchlässigkeit, nie aber Trennung.
Oliver Schuß interveniert behutsam, aber nachhaltig in
das Raumverständnis des Betrachters.
Melanie Ardjah
Catalogue Text for “Der unaufhaltsame Aufstieg von Draufgängern und Flaschen” (Städtische Galerie Karlsruhe, 2010).
/EN
The artist's works formulate their own spaces. Open and closed forms and volumes that separate themselves from the surrounding environment and at the same time turn towards it are at the centre of his works.
The objectivity, the geometric structures, the negation of the personal handwriting and the reduction refer at the same time to principles of minimal art.
Oliver Schuß works with line and surface, with edges, kinks, grooves and nested structures.
The objects thus allow glimpses and at the same time close themselves off in an exciting way.
/DE
Die Werke des Künstlers formulieren eigene Räume. Offene und
geschlossene Formen und Volumina, die sich vom umgebenden Raum
abgrenzen und sich ihm zugleich hinwenden, stehen im Zentrum seiner
Arbeiten.
Die Objektivität, die geometrischen Strukturen, das Negieren der
persönlichen Handschrift und die Reduktion verweisen zugleich auf
Prinzipien der Minimal Art. Oliver Schuß arbeitet mit Linie und Fläche, mit
Kanten, Knicken, Rillen und ineinander verschachtelten Formen.
Die Objekte gewähren dadurch Einblicke und verschließen sich zugleich auf
spannungsvolle Weise.
Anna Grosche
Text for open studios at Atelierhaus des Bonner Kunstvereins, 2018
/DE
Vier lebensgroße Y-förmige Aluminiumstangen streben empor Richtung Decke, überragen mich. In regelmäßigem Abstand lehnen die identischen Stäbe an der Wand.
Die kurzen Metallzweige stechenoberhalb meines Kopfes beinah angriffslustig in den Raum hinein, scheinen ihn heraus zu fordern. Dennoch herrscht eine spürbare Balance zwischen Raum und Werk.
Eine Futterkrippe in ihrer wohl stärksten Abstraktion. Die klar definierte, einfache Form, die mit geringen Mitteln Volumen schafft, weckte Oliver Schußs Interesse.
Durch die hoch angesetzten Gabelungen entzieht sich die Krippe jeglichen Gebrauchs. Scharfkantige Linien konturieren die einzelnen Flächen und unterstreichen somit die unregelmäßigen Oberflächen, den Lichteinfall und den Schattenwurf
auf dem matt glänzenden Material. Wechselt der Betrachter die Perspektive, gewinnt die statische Komposition zusätzlich an Dynamik.
Eine Verchromung der einzelnen Elemente soll den spiegelnden Effekt verstärken und so künftig den Betrachter in das Werk einschließen.
Die vorausgehende, vergleichbare Arbeit mit dem Titel „????“, 2017, besteht aus einer ähnlichen Y-Konstruktion, welche sich jedoch dem Betrachter entgegenlehnt und dabei den Eindruck erweckt,
jeden Moment in den Ausstellungsraum zu kippen. Die Installationen agieren im Wechselspiel mit dem Raum und erzeugen so eine wahrnehmbare Spannung.
Beide Arbeiten sind beispielhaft für Schußs Werk. Wichtig ist ihm, dass seine Objekte ihre Autonomie behalten und sich dem Raum, welcher Teil des Werks wird, gegenüber behaupten können.
Der Künstler ist daher stets auf der Suche nach der perfekten Form. Ungewöhnlicher ist die Größe der Installationen. Das große Format ermöglicht Betrachtenden und Kunstwerk eine Begegnung auf gleicher Höhe,
wohingegen die meist kleinformatigen Arbeiten den Besucher dazu einladen, näher zu treten. Die Intimität, die dabei entsteht, ist für Oliver Schuß besonders bedeutsam.
Eröffnet das Umgehen der dreidimensionalen Werke neue Perspektiven, so geschieht dasselbe bei der Annäherung an seine Zeichnungen. Der Künstler spielt hier mit der Wahrnehmung der Rezipienten.
Ein kleines Viereck in der unteren Hälfte eines leeren Blattes. Die dunklen Streifen heben das Quadrat vom weißen Grund ab und erzeugen eine Illusion von Bewegung ähnlich der eines Barber Poles,
welcherin den USA traditionell an den Außenwänden von Barbershops angebracht wird. Tritt man näher, erkennt man einen gezeichneten, dreimal geknickten Strohhalm, dessen vorderes Ende horizontal auf einem unsichtbaren Grund liegt.
Im eckigen Bogen ist der Halm aufgestellt, das andere Ende knickt nach hinten ab. Daneben die Zeichnung „Strohhalm I“, 2017: eine geknickte dunkle Linie mit weißen Punkten, abfallend und aufsteigend wie bei einem Kurvendiagramm.
Auch hier offenbart sich die wahre Form erst in direkter Nähe.
Die kleinformatigen Motive erhalten auch auf dem Papier ihren Raum, allerdings einen schwerelosen ohne Tiefe und Halt. Trotzdem wirken die fotorealistisch gezeichneten Objekte darin keineswegs flach oder zweidimensional.
Ähnlich wie bei Schußs Installationen verspürt man den Wunsch, die Strohhalm-Konstruktionenumrunden zu können, um sie von allen Seiten zu erfassen.
Andere Arbeiten bringen einen zum Schmunzeln, wie die im Bildraum schwebende, zur Hälfte geschälte Banane, welche sich als Anspielung auf Marilyn Monroe und ihr hoch wehendes Kleid lesen lässt.
Neben den gegenständlichen finden sich auch abstrakte Zeichnungen in seinem Werk. Hierzu gehört die „px“-Serie, die Anklänge zur Konkreten Kunst aufweist und sich auf technisch generierte Pixel bezieht.
Das dichte Raster in welchem die unterschiedlichen Pixel angelegt sind, wird von einem unsichtbaren Rahmen begrenzt. Beim Füllen der Kästchen folgt Oliver Schuß keinem vorgefertigten Plan, sondern entwickelt die Komposition im Verlauf des Zeichenprozesses. Spielerisch füllt er die Kästchen nacheinander aus, lässt sie frei,
zeichnet weiche Übergänge und harte Kanten. Damit unterwandert er gekonnt den Anschein einer digital berechneten Struktur und erschafft stattdessen ein freies Formenspiel.
Stellt die Linie genuin ein charakteristisches Merkmal der Zeichnung dar, so verschwindet sie in Oliver Schußs Zeichnungen vollkommen und findet in seinen Wandinstallationen die pointierte Freisetzung ihres Potenzials.